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Ikonographie der Monochromatik


Willy Brandt: Startzeichen für das Farbfernsehen


Che Guevara: Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche


Andy Warhol: Chromatischer Analphabet mit stark begrenztem Farbspektrum


William Shakespeare: Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht, wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht


Sigmund Freud: Rotdominante Farbgestaltung chiffriert unverarbeitete Liebesbeziehungen mit erotischen, ödipalen oder inzestuösen Inhalten

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Webdesign:
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Fangen wir von vorne an: Willy Brandt gab 1967 mit einem Knopfdruck das offizielle Startzeichen für den Beginn des Deutschen Farbfernsehens. Die Mattscheibe wurde bunt und 60 Millionen Schwarz-Weiß-Seher zwischen Flensburg und München lechzten nach der Fernseh-Farbe wie ein Dürstender in der Wüste nach Wasser. Farbe war für sie ein lang herbeigesehnter Befreiungsschlag aus der Tristesse des grauen Fernseh-Alltags der 50er und 60er Jahre.

Mehr noch: Der Start ins Farbfernsehzeitalter war 1967 gleichzusetzen mit dem revolutionären Aufbegehren einer ganzen Generation. Che Guevaras "Seien wir realistisch, versuchen wir das Unmögliche" war auch bei der Revolte gegen die Schwarz-Weiss-Vorherrschaft die siegreiche Insignie der farblich zu kurz gekommenen Couch-Potatoes. Mit der Unersättlichkeit einer polychromatischen Nymphe sogen die Westdeutschen alles gierig in sich auf, was im Deutschen Farbfernsehen an Schwachmatik-Entertainment bunt und schrill daherkam. Nicht wenige Farbjunkies schluckten vor der Klotze eine visuelle Überdosis bunter Smarties oder gaben sich im abendlichen Hauptprogramm den goldenen Schuss.

Hinsichtlich der Qualität des farblich Gebotenen waren die Deutschen nicht zimperlich. Denn was die damalige Kamera- und Röhrentechnik lieferte, war oft ein Bild des farblichen Grauens. Denn die Farbfernseher der ersten Generation hatten keine chipgesteuerte Farbsättigung und entbehrten auch jeder automatischen Helligkeits- und Kontrastregelung. So flimmerte jedes Gerät mit einem individuellen Farbstich, der vom Nutzer je nach Vorliebe ins Blaue, Rote oder Grüne intensitätsreich variiert werden konnte. Das war seinerzeit eine allgemein akzeptierte Masseneinstellung. Waren die Menschen ja froh, dass sie überhaupt Farbe hatten. Heutige Fernseh-Zuschauer, die im Vergleich dazu nahezu brillant abgemischte Farben bei ihren Flimmerkisten vorfinden, würden einen Apparat mit so einer miesen Farbwiedergabe sofort aus dem Fenster schmeißen.

Entsprechend anspruchsvoll eingestellt wechseln die Pantoffelkino-Besitzer von heute in die kunterbunte Boulevard-Kolorierung des Internets. Schockiert von den fluoreszierenden Farben des Computerbildschirms verstehen sie die Farbenwelt nicht mehr. Denn was manche Webdesigner an beißender Farbenvielfalt (disharmonischer Polychromie) anbieten, schreit zum Himmel. Dagegen waren die Popkünstler der 60er Jahre chromatische Analphabeten mit stark begrenztem Farbspektrum.

Heute scheinen die Bildschirm-Farbmischer vor nichts zurück zu schrecken. Unzählige Hobby-Surfer fühlen sich offensichtlich berufen, eine Webseite nicht nur anklicken, sondern auch selbst entwerfen und gestalten zu können. Strafrechtlich gesehen handelt es sich dabei meistens um eine unzulässige Entfernung vom Unfallort. Das neurotische Homepage-Outing von Privatpersonen ist eine pathologische Zeiterscheinung mit wachsender Beliebtheit. Unzählige Knalldeppen reden sich ein, dass sie sich in hemmungsloser Farbenfreude, schwadronierender Offenheit und mit talentfreien Charaktermerkmalen der weltweiten Cyber-Space-Community präsentieren müssen. Dieser virtuelle Exhibitionismus verwandelt Internetportale in visuelle Geisterbahnen und Grusel-Kabinetts des postmateriellen Virturalismus.

"Wenn ihr uns stecht, bluten wir nicht. Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht. Und wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht." Dieser berühmte Shylock-Monolog von Shakespeare beschreibt die Befindlichkeit jener Web-User, die zwar hart im Nehmen, jedoch in ihrem tiefsten Innern schwer verletzt sind. Verletzt ist ihr ästhetisches Empfinden, weil ihre Sehnerven ständig mit der polychromen Disharmonie der Layout-Dilettanten traktiert werden: Das, was der Schmierenkomödiant in Ernst Lubitschs Film "Sein oder Nichtsein" mit Shakespeare gemacht hat, das machen diese Webdesigner mit den Web-Usern.

Dabei ist unbestritten: Für polychrome Psychopathen ist das Internet das falsche Forum für das tabulose Ausleben ihrer seelischen Defekte. Mittlerweile ist die grundsätzliche Affinität zwischen Webdesign und Entwicklungspsychologie evident. Psychotherapeuten sehen im Webdesign eine Metapher, die in einer symbolischen Weise persönlichkeitsspezifische Elemente aufgreift, die insbesondere mit lebensgeschichtlich relevanten Konflikten zusammenhängen.

Die psychoanalytische Praxis fand in diesem Zusammenhang entsprechende diagnostische Kriterien: So verarbeiten stark rationalisierende bzw. zwanghafte Persönlichkeiten bei der Website-Gestaltung Konflikte zwischen Über-Ich und Es. Dabei werden, wahrscheinlich als Reaktionsbildung auf die Rigidität des übermächtigen Über-Ichs, häufig abnorme (psychopathische) Phantasien zum Ausdruck gebracht. Ergebnis ist dabei fast immer eine auffällige farbliche Gründominanz bei der Website-Gestaltung. Affektabile bzw. "hysterische" Persönlichkeiten bevorzugen dagegen eine rotdominante Farbgestaltung beim Webdesign, die unverarbeitete Liebesbeziehungen (häufig mit erotischen, ödipalen oder inzestuösen Inhalten) in zentraler Weise chiffrieren.

Paranoide Webdesigner bevorzugen Formen und Farben, in denen die zentralen Aussage in eine Opferrolle hineingerät, während bei Manisch-Depressiven eine Oben-Unten-Thematik dominiert. Beiden Patiententypen ist gemeinsam, dass sie einem wahllosen polychromatischen Rauschzustand verfallen, um ihrer neurotisch motivierten Ästhetik durch Sublimierung unverarbeiteter Konflikte Ausdruck zu verleihen. Für diese Menschen gilt: Verlaßt euren Bildschirmarbeitsplatz und geht hinaus in die Wälder und staunt über die einfachen Wunder der Natur. Anschließend ist die Mitarbeit in einem farbethischen Arbeitskreis zu empfehlen als therapeutischer Start in eine langwierige Heilbehandlung.

Prof. Dr. Ernst Blaubart
Direktor im Teuerpreis-Insitut